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Abdruschin - Abdrushin - Oskar Ernst Bernhardt

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de:gralsbotschaft:1931:weltgeschehen

Weltgeschehen.

Es gibt keine größere Gefahr für eine Sache, als eine Lücke zu lassen, deren Füllungsnotwendigkeit vielfach empfunden wird. Es hilft dann nichts, darüber hinweggehen zu wollen; denn eine derartige Lücke hindert jeden Fortschritt, und wird, sobald darüber ein Bau errichtet ist, diesen eines Tages zusammenbrechen lassen, auch wenn er mit größter Kunstfertigkeit und mit wirklich gutem Material ausgeführt ist.

So zeigen sich heute die verschiedenen christlichen Religionsgemeinschaften. Sie verschließen mit zäher Energie Auge und Ohr an manchen Stellen ihrer Lehren, die eine Unlogik fühlen lassen. Mit leeren Worten suchen sie darüber hinwegzuschreiten, anstatt wirklich einmal ernsthaft in sich zu gehen. Wohl empfinden sie die Gefahr, daß die durch eine Lehre blinden Glaubens vorläufig gelegten Brücken über derartige Klüfte eines Tages nicht mehr zureichend sein können, und sie fürchten den Augenblick, der diesen leichten Bau durch Erleuchtung erkennen lassen muß. Auch wissen sie, daß dann niemand mehr zu bewegen sein wird, einen so trügerischen Weg zu betreten, wodurch natürlich der dann wieder folgende feste Weiterbau und Weg ebenfalls leer bleiben muß. Ebenso ist ihnen bekannt, daß ein einziger Luftstrom frischer Wahrheit solche künstlichen Gebilde hinwegfegen muß. Doch in Ermangelung eines Besseren suchen sie trotz aller Gefahren die schwankende Planke festzuhalten. Sie sind sogar viel eher bereit, sie mit allen Mitteln zu verteidigen und den zu vernichten, der es wagen würde, in der Wahrheit selbst einen festeren Übergang zu bringen. Ohne Zögern würden sie denselben Vorgang zu wiederholen versuchen, der vor nahezu zweitausend Jahren sich auf dieser Erde abspielte, der seinen Schatten noch bis auf den heutigen Tag wirft, und den sie doch selbst als große Anklage gegen die Verblendung und verderbliche Starrköpfigkeit der Menschen zum Brennpunkte ihrer Lehren und ihres Glauben machten. Es waren die Träger der Religionen und die damaligen Gelehrten, die in ihrer dogmatischen Einengung und ihrem Schwäche verratenden Dünkel die Wahrheit und den Gottessohn nicht zu erkennen vermochten, sich auch davor verschlossen und ihn und seine Anhänger aus Furcht und Neid heraus haßten und verfolgten, während die anderen Menschen sich leichter der Erkenntnis öffneten und die Wahrheit des Wortes schneller empfanden. Trotzdem nun die heutigen Träger der christlichen Religionsgemeinschaften den Leidensweg des Gottessohnes besonders betonen, so haben sie doch an dieser Tatsache selbst nichts gelernt und keinen Nutzen daraus gezogen. Gerade die heutigen Führer dieser auf Christi Lehren gegründeten Gemeinschaften, wie auch diejenigen der neueren Bewegungen würden auch heute wieder jeden unschädlich zu machen versuchen, der die schwankenden Übergänge über bedenkliche Lücken oder Klüfte in ihren Belehrungen und Auslegungen durch die Wahrheit selbst gefährden könnte. Sie würden ihn mit ihrem Haß verfolgen, der aus Angst geboren ist, und noch vielmehr aus Eitelkeit heraus, genau wie es schon einmal war.

Die Größe würde ihnen fehlen zu ertragen, daß ihr Wissen nicht ausreichte, die Wahrheit selbst zu erkennen und die Lücken auszufüllen, um damit den Menschen zum leichteren Verstehen und vollem Erfassen den Weg zu ebnen.

Und doch ist der Menschheit nur durch volles Erfassen ein Aufstieg möglich, niemals durch blinden, unwissenden Glauben!

Eine solche Lücke durch falsche Überlieferung ist der Begriff des „Menschensohnes“. Krankhaft wird daran festgehalten, ähnlich den Pharisäern, die sich der ihren herkömmlichen starren Lehren gegenüberstellenden Wahrheit durch den Gottessohn nicht erschließen wollten. Christus hat von sich nur als Gottessohn gesprochen. Die Unlogik, sich gleichzeitig Menschensohn zu nennen, lag ihm fern. Mag man nun aus den eigenen Zweifeln heraus mit größter Kunstfertigkeit und Gewandtheit nach allen Richtungen hin versucht haben, diesen offensichtlichen und von jedem ruhig denkenden Menschen empfundenen Widerspruch zwischen Gottessohn und Menschensohn zu erklären, so kann doch trotz aller Mühen nicht behauptet werden, daß eine Vereinigung gefunden wurde. Die günstigste aller Deutungen mußte immer und immer wieder eine Doppelnatur zeigen, die nebeneinander stehen blieb, niemals aber als eins erscheinen konnte.

Das liegt auch ganz in der Natur der Sache. Der Gottessohn kann nicht zum Menschensohne werden, nur, weil er durch eines Menschen Leib geboren werden mußte, um auf Erden wandeln zu können.

Es ist jedem Christen bekannt, daß der Gottessohn lediglich in geistiger Sendung kam, und daß alle seine Worte das geistige Reich betrafen, also geistig gemeint waren. Demnach darf von vornherein auch sein mehrmaliger Hinweis auf den Menschensohn nicht anders aufgefaßt werden! Warum soll nun hier eine Ausnahme sein. Geistig aber war und blieb Christus lediglich der Gottessohn! Wenn er nun von dem Menschensohne sprach, so konnte er sich nicht selbst damit meinen. Es liegt in dem allen viel Gewaltigeres, als die heutigen Auslegungen der christlichen Religionen wiedergeben. Der offene Widerspruch müßte schon lange ernster zum Nachdenken angeregt haben, wenn nicht die dogmatische Einklammerung alles verdunkelte. Statt dessen griff man ohne die für so einschneidende Dinge unbedingt nötige, ernsteste Prüfung zum krampfhaften Festhalten an dem überlieferten Worte und legte sich so Scheuklappen an, die den freien Ausblick hinderten. Natürliche Folge ist, daß solche Ausleger und Lehrer, obwohl in der Schöpfung ihres Gottes stehend, nicht einmal diese richtig zu erkennen vermögen, wodurch allein die Aussicht besteht, auch dem Schöpfer selbst, dem Ausgangspunkte des Werkes, näher zu kommen.

Christus lehrte in erster Linie volle Natürlichkeit, das heißt, sich in die Gesetze der Natur, also der Schöpfung einzufügen. Einfügen aber kann sich nur der, der die Naturgesetze kennt. Die Naturgesetze wiederum tragen den Willen des Schöpfers in sich und können somit auch den Weg zur Erkenntnis des Schöpfers selbst geben. Wer nun die Naturgesetze kennt, erfährt aber auch, wie unverrückbar diese wirkend ineinandergreifen; weiß deshalb, daß dieses Wirken in seiner steten, vorwärtstreibenden Folgerichtigkeit unabänderlich ist, wie damit auch der Wille des Schöpfers, Gottvaters.

Jede Abweichung müßte eine Änderung des göttlichen Willens bedeuten. Eine Änderung aber würde auf Unvollkommenheit hinweisen. Da aber der Urquell alles Seins, Gottvater, nur einheitlich und vollkommen ist, so muß auch die kleinste Abweichung innerhalb der Naturgesetze, also der Entwicklungsgesetze, einfach unmöglich und von vornherein ausgeschlossen sein. Diese Tatsache bedingt, daß auch Religionswissenschaft und Naturwissenschaft in jeder Beziehung eins sein müssen in lückenloser Klarheit und Folgerichtigkeit, wenn sie die Wahrheit wiedergeben sollen.

Daß die Naturwissenschaft heute noch eine im Verhältnis zur ganzen Schöpfung sehr niedere Grenze des Wissens hat, wird nicht geleugnet, da sie sich lediglich an das Grobstoffliche gehalten hat, weil der Verstand in heutigem Sinne nur an das an Raum und Zeit Gebundene heranzugehen vermag. Der einzige, allerdings auch unverzeihliche Fehler dabei ist nur, daß die Jünger dieser Wissenschaft alles Darüberhinausgehende spöttisch als nichtbestehend zu leugnen versuchen, mit Ausnahme weniger Gelehrten, die das Mittelmaß überschritten haben und weitschauender wurden, und die es verschmähten, Nichtwissen mit Dünkel zu überdecken.

Religionswissenschaft aber greift viel weiter, bleibt aber trotzdem ebenfalls auf die über das an Raum und Zeit Gebundene hinausgreifenden Naturgesetze angewiesen, die vom Urquell kommend in das Irdisch-Sichtbare ohne Unterbrechung und ohne Abänderung ihrer Art hineinlaufen. Aus diesem Grunde dürfen auch Religionslehren weder Lücken noch Widersprüche bergen, wenn sie der Wahrheit, also den Naturgesetzen oder dem göttlichen Willen wirklich entsprechen sollen, wenn sie also die Wahrheit bergen sollen. Freiheiten blinden Glaubens dürfen sich zur Führung dienende und verantwortungsreiche Lehren nicht erlauben!

Schwer lastet deshalb der Irrtum des Begriffes vom Menschensohne auf den Anhängern der wahren Christuslehren, weil sie irrtümliche Überlieferungen ruhig hinnehmen und weiterschleppen, trotzdem in vielen Menschen zeitweise gegenteiliges Empfinden leise mahnt.

Gerade die Unabänderlichkeit göttlichen Willens in seiner Vollkommenheit ist es, die ein willkürliches Eingreifen Gottes in der Schöpfung ausschließt. Sie ist es aber auch, die nach der Abspaltung Luzifers durch dessen falsches Handeln 1) diesen nicht einfach auszuschalten vermag, ebenso auch einen Mißbrauch der Naturgesetze, des göttlichen Willens, durch die Menschen zulassen muß, weil dem Menschengeiste durch seine Herkunft aus dem Ewigen Geistig-Wesenhaften ein freier Entschluß vorbehalten ist 2). In den Geschehnissen der fein- und grobstofflichen Schöpfung muß sich gerade die unverrückbare Vollkommenheit des Schöpferwillens als eine Art Gebundensein zeigen! Aber nur minderwertige und kleine Menschengeister können bei dieser Erkenntnis eine Beschränkung der Macht und Größe sehen. Eine derartige Auffassung würde lediglich das Erzeugnis ihrer eigenen Beschränktheit sein.

Die Unermeßlichkeit des Ganzen verwirrt sie, weil es ihnen tatsächlich nur möglich ist, sich ein Bild davon vorzustellen, wenn es — ihrem Verstehen entsprechend — eine engere Grenze hat.

Wer sich jedoch wirklich bemüht, seinen Schöpfer in dessen Wirken zu erkennen, der wird auf dem sicheren Wege der Naturgesetze ein überzeugendes Ahnen empfangen haben von den weitausgreifenden Vorgängen, deren Anfänge in dem Urquell, also dem Ausgangspunkte alles Geschehens liegen, um sich von dort aus wie unverrückbare Schienenstränge durch die Schöpfung zu ziehen, auf denen dann alles weitere Leben je nach Stellung der Weiche sich abrollen muß. Das Weichenstellen aber besorgt der Menschengeist in seinem Laufe durch das Stoffliche selbsttätig 3). Durch Luzifers Prinzip läßt sich nun leider die Mehrzahl zur falschen Weichenstellung veranlassen, und so rollt dann deren Leben nach den unabänderlichen Fortentwicklungsgesetzen, die gleich Schienensträngen das Stoffliche durchziehen, mehr und mehr abwärts, einem je nach der Einstellung ganz bestimmten Endziele zu.

Die Weichenstellung des freien Entschlusses kann nun vom Ursprung aus genau beobachtet oder empfunden werden, woraufhin der weitere Verlauf klar zu erkennen ist, weil er nach einem erfolgten Entschlusse in der Fortentwicklung nur den entsprechenden in der Schöpfung verankerten Gesetzes-Schienensträngen entlang laufen muß. Dieser Umstand ermöglicht das Vorausschauen so mancher Geschehnisse, weil die Natur- oder Schöpfungsgesetze in ihrem Entwicklungsdrange niemals abweichen. Jahrtausende spielen dabei keine Rolle. In diesen vorausgeschauten, unbedingten Endzielen entstehen dann die großen Offenbarungen, die Begnadeten in Bildern geistig gezeigt werden und durch Weitergabe zur Kenntnis der Menschheit kommen. Eins ist aber dabei nicht mit Bestimmtheit vorauszusagen: Die irdische Zeit, zu der sich solche Offenbarungen und Verheißungen erfüllen!

Das geschieht zu der Stunde, in welcher ein solcher Lebensverlauf seinen gewählten Schienen entlangrollend an einer vorauserklärten Zwischenstation oder dem Endziele einfährt. Das Schicksal des Menschen wie des Volkes und zuletzt der ganzen Menschheit ist mit einem Zuge zu vergleichen, der auf einer eingleisigen Bahn vor nach allen Richtungen führenden Schienensträngen wartend steht. Der Mensch stellt eine Weiche nach seinem Belieben ein, springt auf und gibt Dampf, das heißt, er belebt ihn. Bei seinem Einbiegen in das von ihm gewählte Geleise vermag man nur die einzelnen Haltestellen und das Endziel zu nennen, nicht aber die genaue Stunde der jeweiligen Ankunft, da dies von der Fahrtgeschwindigkeit abhängt, die je nach der Art des Menschen wechseln kann; denn der Mensch belebt die Maschine und wird sie je nach seiner eigenen Art in ruhigem Gleichmaße oder in stürmender Leidenschaft oder abwechselnd verschiedenartig vorwärtstreiben. Je mehr ein solcher Einzelmenschen- oder Völker- oder Menschheitszug sich aber einer Haltestelle seiner Schienen- oder Schicksalsrichtung nähert, desto sicherer kann dann das nahende Eintreffen erschaut und angedeutet werden. Das Schienennetz hat aber auch einige Verbindungslinien, die durch jeweilige Weichenumstellungen während der Fahrt benützt werden können, um eine andere Richtung zu erhalten, und somit auch ein anderes Endziel als das zuerst angesteuerte zu erreichen. Es erfordert dann natürlich ein Langsamerfahren beim Nahen einer derartigen Weiche, ein Anhalten und Weichenumstellen. Das langsamere Fahren ist das Nachdenken, das Anhalten der Entschluß des Menschen, der ihm bis zu einem letzten Entscheidungspunkte immer möglich ist, und das Umstellen die diesem Entschlusse folgende Tat.

Den göttlichen Willen, der sich in den feststehenden Naturgesetzen wie Schienenstränge durch das Stoffliche zieht, kann man auch die Nerven in dem Schöpfungswerke nennen, die dem Ausgangspunkte, dem schöpferischen Urquell, jede Unebenheit in dem gewaltigen Körper des Werkes fühlen lassen oder ihm melden.

Dieser auf Grund der unverrückbaren Gesetze bis an jedes Ende ausschauende sichere Überblick veranlaßt den Schöpfer, seinen Offenbarungen auch Verheißungen anzuknüpfen, die für die Zeit der herannahenden gefährlichsten Biegungen, Zwischen- oder Endhaltestellen rechtzeitig von ihm kommende Helfer verkünden! Diese Helfer sind von ihm ausgerüstet, kurz vor Eintreffen unausbleiblicher Katastrophen und gefährlicher Wendungen den auf diesen falschen Geleisen rollenden Menschengeistern durch Verkündung der Wahrheit die Augen zu öffnen, damit es ihnen möglich wird, noch rechtzeitig eine andere Weiche einzustellen, um die immer gefährlicher werdenden Stellen zu vermeiden und durch eine neue Richtung auch dem verderbenbringenden Endziele zu entgehen. Wehe dem Menschen im Dies- und Jenseits, der die letzte aller Umstellungsweichen und damit die Möglichkeit einer besseren Richtung übersieht und versäumt! Er ist rettungslos verloren.

Da der Schöpfer an der Vollkommenheit seines Willens nicht rütteln kann, so wird auch er bei diesem Helfen genau wieder die besten Gesetze einhalten. Mit anderen Worten: Sein Wille ist von Urbeginn an vollkommen. Jede seiner neuen Willensakte werden selbstverständlich ebenfalls vollkommen sein. Das bedingt, daß jeder neue Willensakt von ihm auch genau die gleichen Gesetze in sich tragen muß wie die bereits vorausgegangenen. Folge davon ist wieder die genaue Einfügung in das Entwicklungsgeschehen der fein- und grobstofflichen Welt. Eine andere Möglichkeit ist gerade durch die Vollkommenheit Gottes ein für allemal ausgeschlossen. In dem schon erklärten Vorausschauen entstand die Verheißung der Menschwerdung des Gottessohnes, um mit der Wahrheitsverkündung die Menschheit zur Umstellung der Weiche zu veranlassen. Die Tat der Umstellung bleibt den Gesetzen entsprechend den Menschengeistern selbst vorbehalten. Dadurch aber ist es einem Vorausschauen entzogen, die Art des Entschlusses zu erkennen; denn nur die von den Menschengeistern schon gewählten Bahnen, in die sie die Weiche nach ihrem freien Entschluß gestellt haben, können genau in ihren sämtlichen Haltestellen und Biegungen bis zum Endziele überschaut werden. Davon ausgeschlossen sind nach folgerichtiger Natürlichkeit die Wendepunkte, bei denen ein freier Entschluß der Menschheit ausschlaggebend ist; denn auch dieses Recht ist aus der natürlichen Entstehungs- und Entwicklungsgesetzmäßigkeit heraus durch Gottes Vollkommenheit ebenso unverrückbar wie alles andere, und da der Schöpfer den Menschengeistern dieses Recht durch deren Ursprung aus dem Geistig-Wesenhaften gegeben hat, verlangt er auch nicht im voraus zu wissen, wie ihre Entscheidung fallen wird. Nur die Folge einer solchen Entscheidung kann er genau bis an das Ende erkennen, weil diese sich dann innerhalb dieses Willens auswirken muß, der in den Gesetzen der fein- und grobstofflichen Schöpfung ruht. Würde es anders sein, so könnte die Ursache dazu aus diesem Grunde nur einen Mangel an Vollkommenheit bedeuten, was unbedingt ausgeschlossen ist.

Der Mensch soll sich also dieser seiner ungeheueren Verantwortung stets voll bewußt sein, daß er in seinen Grundentschlüssen wirklich unabhängig ist. Leider aber wähnt er sich entweder als vollkommen abhängigen Knecht, oder aber sich überschätzend als einen Teil des Göttlichen. Wahrscheinlich liegt der Grund dafür darin, daß er sich in beiden Fällen der Verantwortung enthoben glaubt. In dem einen Fall als zu tiefe und abhängige Kreatur, in dem anderen Falle als weit darüberstehend. Beides aber ist falsch! Er mag sich als Verweser ansehen, dem in gewissen Dingen freier Entschluß, aber auch die volle Verantwortung zusteht, der also ein großes Vertrauen besitzt und dieses nicht durch schlechtes Haushalten täuschen soll.

Gerade diese Vollkommenheit macht es notwendig, daß der Schöpfer bei Ausübung unmittelbarer Hilfen für die falschsteuernde Menschheit auch mit einem Versagen der Menschheit bei deren Entschlußfassung rechnen muß. Für solche Fälle hält er aus seiner Weisheit und Liebe heraus, die als ihm zu eigen ebenfalls wieder gesetzmäßig und natürlich sind, weitere Wege zur Hilfe bereit, die sich dann dem ersten, durch Versagen der Menschheit unter Umständen abgeschnittenen Wege als Fortsetzung anschließen.

So wurde schon vor der Zeit der Menschwerdung des Gottessohnes in dem ewigen Reiche des Vaters ein anderer Sendling für eine Mission vorbereitet, für den Fall, daß die Menschheit trotz des großen Liebesopfers des Vaters versagen könnte. Wenn der Gottessohn mit seiner rein-göttlichen Einstellung nicht so gehört werden würde, daß die Menschheit auf seine Warnung hin die Weiche ihrer Bahnen nach der Richtung hin einstellte, die er ihnen wies, sondern auf ihren bisherigen zum Verderben führenden Bahnen in Verblendung verblieb, so sollte dann noch ein Sendling ausgehen, der der Menschheit in deren innersten Wesen näher stehen konnte als der Gottessohn, um ihr nochmals in der letzten Stunde als Warner und Führer zu dienen wenn — — — — sie auf seinen Ruf der Wahrheit hören wollten. Das ist der Menschensohn.

Christus als Gottessohn wußte davon. Als er den überwucherten und verdorrten Boden der Menschheitsseelen bei seinem Wirken erkannte, wurde ihm klar, daß sein Erdenwallen nicht die Früchte tragen würde, die bei gutem Wollen der Menschheit hätten reifen müssen. Er trauerte tief darüber, überschaute er doch auf Grund der ihm so wohlbekannten Gesetze in der Schöpfung, die den Willen seines Vaters tragen, den unbedingten Fortgang zu dem unvermeidlichen Ende, das der Menschen Art und Willen nach sich ziehen mußte. Und da begann er von dem Menschensohne zu reden, von dessen durch die entstehenden Geschehnisse notwendig werdenden Kommen. Je weiter er seine große Mission erfüllte, die je nach dem Entschlusse der Menschheit zwei Wege offen ließ, entweder ein großes Folgen seiner Lehren mit anschließendem Aufstiege unter Vermeidung alles Verderbenbringenden, oder ein Versagen und Weiterstürmen auf abschüssiger Bahn, die ins Verderben führen mußte, desto klarer sah er, daß der Entschluß der großen Mehrheit der Menschheit dem Versagen und somit dem Untergange zuneigte. Daraufhin formten sich seine Äußerungen über den Menschensohn zu unmittelbaren Verheißungen und Ankündigungen, indem er sprach: „Wenn aber des Menschen Sohn kommen wird …“ usw.

Damit bezeichnete er die Zeit kurz vor der Gefahr des Unterganges, der sich aus dem Versagen der Menschheit seiner Mission gegenüber als Endziel der beharrlich weiter verfolgten Richtung nach den göttlichen Gesetzen in der stofflichen Welt erfüllen mußte. Schwer litt er damals bei diesem Erkennen.

Falsch ist jede Überlieferung, die behauptet, daß Jesus, der Gottessohn, gleichzeitig auch sich selbst als Menschensohn bezeichnet hätte. Derartige Unlogik liegt weder in den göttlichen Gesetzen, noch ist sie dem Gottessohne als Kenner und Träger dieser Gesetze zuzumuten. Die Jünger wußten nicht Bescheid darin, wie ja aus ihren Fragen selbst hervorging. Von ihnen allein ging der Irrtum aus, der sich bis heute erhalten hat. Sie wähnten, daß der Gottessohn mit dem Ausdruck Menschensohn sich selbst bezeichnete, und aus dieser Annahme heraus überlieferten sie diesen Irrtum auch der Nachwelt, die sich ebenfalls nicht ernster mit der darin liegenden Unlogik befaßte, als die Jünger selbst, sondern einfach darüber hinwegging, teils aus Scheu, teils aus Bequemlichkeit, trotzdem in der Richtigstellung die Alliebe des Schöpfers nur noch deutlicher und kraftvoller heraustritt. In den Fußstapfen des Gottessohnes gehend, das heißt, seine Mission aufnehmend und weitertragend, wird der Menschensohn als zweiter Gesandter Gottvaters der Menschheit auf der Erde gegenübertreten, um sie durch Verkündung der Wahrheit zurückzureißen von der bisherigen Bahn, und sie zu dem freiwilligen Entschlusse einer anderen Einstellung zu bringen, die abseits führt von den Punkten des Verderbens, die jetzt ihrer warten.

Gottessohn — Menschensohn! Daß darin ein Unterschied liegen muß, ist sicherlich nicht so schwer herauszufinden. Jedes dieser Worte hat seinen scharf umrissenen, streng ausgeprägten Sinn, der eine Vermischung und Verschmelzung in eins zur Trägheit des Denkens stempeln muß. Hörer und Leser der Vorträge werden sich der natürlichen Entwicklung bewußt sein, die vom Urlicht, Gottvater, ausgehend bis zu dem grobstofflichen Weltenkörper herabreicht. Der Gottessohn kam aus dem Göttlich-Wesenlosen, das Geistig-Wesenhafte und das Feinstoffliche schnell durcheilend, zur Inkarnation in die grobstoffliche Welt. Deshalb muß er mit vollem Recht der menschgewordene Gottesteil oder Gottessohn genannt werden. Das Durcheilen des Geistig-Wesenhaften, in dem erst der Menschengeist seinen Ausgangspunkt hat, ließ ihn dort, wie auch in dem dann folgenden feinstofflichen Teile der Schöpfung nicht so Fuß fassen, daß sein göttlich-wesenloser Geist starke Schutzhüllen dieser verschiedenen Arten mitnehmen konnte, sondern diese sonst als Rüstung dienenden Hüllen blieben dünn. Das brachte den Vorteil, daß das innerlich Göttliche leichter und stärker durchstrahlte, also hervorbrach, aber auch den Nachteil, daß es in den lichtfeindlichen Niederungen der Erde durch sein Auffallen um so schneller bekämpft und wütender angegriffen werden konnte. Das starke, nur schwach verdeckte Göttliche in der irdisch-grobstofflichen Hülle mußte fremd unter den Menschen bleiben, als zu fernstehend. Bildlich ausgedrückt könnte man also sagen, daß sein göttlicher Geist für das niedere Grobstofflich-Irdische durch den Mangel an Aufnahme aus dem Geistig-Wesenhaften und dem Feinstofflichen nicht genügend gewappnet und gerüstet war. Die Kluft zwischen dem Göttlichen und dem Irdischen blieb nur schwach überbrückt.

Da nun die Menschen dieses Geschenk göttlicher Liebe nicht achteten und nicht hüteten, sondern aus dem natürlichen Triebe alles Dunkleren heraus dem lichten Gottessohn mit Feindseligkeiten und Haß entgegentraten, so mußte ein zweiter Sendling kommen in dem Menschensohne, der für die grobstoffliche Welt stärker gewappnet ist.

Auch der Menschensohn ist ein Gottgesandter und aus dem Göttlich-Wesenlosen hervorgegangen. Er wurde aber vor seiner Sendung in die grobstoffliche Welt in das ewige Reingeistig-Wesenhafte inkarniert, also eng verbunden mit der geistigen Wesensart, aus dem das Samenkorn des Menschengeistes stammt! Damit tritt der göttlich wesenlose Kern dieses zweiten Gesandten dem Menschengeiste in dessen Ursprunge näher, wodurch er auch mehr Schutz und unmittelbare Kraft gegen diesen gewinnt.

In den höchsten Höhen der gleichen Wesensart des Menschengeistes lebt für alles Bestehende ja ein vollendetes Ideal dessen, was die Fortentwicklung aus dem Geistig-Wesenhaften heraus alles in sich tragen kann. So auch das ewige, reingeistig-wesenhafte Ideal alles Weiblichen, gleichsam als Königin der Weiblichkeit mit allen lebendigen Tugenden. Jeder weibliche Geistkeim trägt die unbewußte Sehnsucht in sich, diesem reinen, in edelster Form lebendigen Ideale nachzustreben. Leider artet diese unbewußte Sehnsucht während des Laufes durch die Stofflichkeit oft in Eitelkeit aus, die vortäuschend und in Selbstbetrug viel nicht Lebendiggewordenes, aber doch Ersehntes ersetzen soll. Doch diese Sehnsucht wird bewußter bei dem Emporsteigen zum Licht, noch in der feinstofflichen Welt. Sobald die niederen Begierden abzufallen beginnen, bricht sie immer heftiger hervor, um zuletzt die Tugenden zu beleben und zu stärken. Der Magnet und Brennpunkt dieser edlen Sehnsucht nach den weiblichen Tugenden ist die Königin der Weiblichkeit in dem unvergänglichen Reiche des Vaters, dem Reingeistig-Wesenhaften. Der göttlich-wesenlose Kern des zweiten Gottgesandten nun wurde in dieses geistig-wesenhafte Ideal der Weiblichkeit gesenkt und von ihr als geistig-wesenhafte Mutter in dem ewigen Reiche Gottvaters großgezogen, mit der Gralsburg als Heimat seiner geistigen Jugend. Erst von hier aus erfolgte dann seine Sendung in die grobstoffliche Welt, zu einer Zeit, daß er zur rechten Stunde auf den Kampfplatz treten kann, um den um geistige Führung bittenden ernsthaften Gottsuchern den rechten Weg in das Reich des Vaters weisen zu können, und gleichzeitig Schutz zu gewähren vor den Angriffen der ihnen feindlichen Abwärtsstrebenden.

Da er im Gegensatze zu dem Gottessohne seine geistige Jugend in dem Geistig-Wesenhaften verbrachte, also in dem Ursprunge und Ausgangspunkte des Menschengeistes, so wurzelt er gleichzeitig außer in dem Göttlich-Wesenlosen auch fest in dem Geistig-Wesenhaften, kommt dadurch in seiner Art der Menschheit näher und ist in der Paarung der Herkunft und Jugend richtiggehend Gottmensch! Hervorgehend aus dem Göttlich-Wesenlosen und auch aus dem Reingeistig-Wesenhaften, dem Urbeginn der Menschheit. Aus diesem Grunde wird er im Gegensatz zum reinen Gottessohn der Menschensohn genannt, dem der Weg zum Göttlich-Wesenlosen durch seine Herkunft offen steht! Deshalb trägt er göttliche Kraft und Macht in sich und steht damit der ganzen Menschheit wie auch Luzifer zum Kampf wohlausgerüstet gegenüber.

Darum wachet, daß Ihr ihn erkennet, sobald die Zeit für ihn gekommen ist; denn er bringt auch die Zeit für Euch!

de:gralsbotschaft:1931:weltgeschehen
Last modified: 2021/01/09 02:12 - Marek Ištvánek